Ist doch ein bisschen lang geworden...

Der Bus hält an! Welch ein Glück! Bei einer Vollbesetzung des Bus' wäre er einfach weitergefahren, aber es sind noch schätzungsweise 3-4 Plätze frei. 2000 Peso, die in etwa 3 Euro entsprechen, gebe ich dem Busfahrer für, so wie ich meine, die sehr günstige Fahrt von 80 km nach Puerto Natales (später: nur komisch dass ich für den den gleichen Weg zurück dann nur 1500 Peso bezahlen musste?!?). Während der Suche nach einem freien Sitzplatz schauen mich nur verschlafene Augen an, da die meisten hier schon seit ca. 2,5h von Punta Arenas aus hier im Bus sitzen. Obwohl ich die Landschaften und die Natur Patagoniens absolut spannend finde, reizt mich der Weg nach Puerto Natales nicht mehr - hier kenne ich schon jeden Baum aus den vergangenden Wochen, so dass ich mich lieber mit meinem brasilianischen Sitznachbarn unterhalte...
Sa, 02.02.08
Wieder schließen sich die Türen des Bus'. Diesmal jedoch nicht des Bus' nach Puerto Natales, nein, nun geht's direkt in den Nationalpark. Wobei mit direkt der Umweg über sämtliche Hostals in Puerto Natales gemeint ist. Da mein Hostal eines der ersten Anfahrtsorte ist, kann ich nun durch mein Fenster alle weiteren Zusteigenden begutachten: Südamerikaner, Nordamerikaner, Engländer, Franzosen, usw...
Die letzte Nacht war kurz (6 Std.), aber in Hinsicht auf die kommenden Tage äußerst luxoriös. Einzelbett, saubere sanitäre Einrichtungen, american-style-breakfast! Das alles vermisse ich jetzt schon, erst recht beim Anblick des vollkommen bedeckten, patagonischen Himmels und der auf den Boden platschenden Regentropfen. That's patagonia! Wenn eines hier verboten ist, dann ist es die Frage nach dem Wetter. Das ändert sich hier minütlich!



Die heutige 14km-lange Wanderung steckt mir einerseits sehr in den Beinen, andererseits jedoch vielmehr in den Schultern und Hüften. Morgen werde ich meinen Rucksack an einer Waage hier am Campamento wiegen, aber die vorherige Schätzung hinterlässt Falten auf meiner Stirn. Essen für 9 Tage, Töpfe, Kocher, Kleidung, Schlafsack, Isomatte, Zelt und und und... Eine unglaubliche Last, die jedoch im Angesicht der atemberaubenden Landschaft leichter erscheint.
Der erste Tag in den Bergen der zwölften Region neigt sich dem Ende hingegen. Mein in Punta Arenas gekauftes 1Mann-Zelt muss sich nun entgegen meiner Zweifel bezüglich der Wasserundurchlässigkeit beweisen. Nach einem tollen ersten Tag mit einem leichtbewölkten Himmel mit vielen Sonnenlöchern, ziehen jetzt aus dem Nichts Regenwolken auf und weihen mein neues, gelbes Zelt ein!

So, 03.02.08
Kurz nach Mitternacht wache ich aufgrund des Lärms durch den prasselnden Regen auf. Ich taste mein Zeit nach Eintritten von Wasser ab. Meiner Fingerspitzen signalisieren mir ein bisschen Feuchtigkeit, jedoch sind keine direkten Wasserschäden zu vermerken, so dass mein Zelt in meinen Augen an Wert gewinnt. Zwei Stunden später werde ich wieder von ungewöhnlichen Geräuschen geweckt. Diesmal ist es nicht der Regen, sondern ein ohrenbetäubendes Rauschen, das mich aus dem Schlaf gerissen hat und kurz darauf mein Zelt durchschüttelt. Wind! Jedoch eher Sturm! Nach meiner Einschätzung mindestens 60-70 km/h schnell. Sofort versuche ich das Hauptgestänge meines Nylonhauses zu fassen und zu festigen. Unglaublich! Schnell untersuche ich den Halt der Zeltecken und bin nach Feststellung des ordnungsgemäßen Zustands der Heringe erleichtert. Die Windböen kündigen sich immer mit einem Rauschen an, dann fängt mein Unterschlupf an zu zittern, bevor schlussendlich alle Seiten zu wackeln beginnen. Nach mehreren Böen schlafe ich, gebeutelt von der ersten Tagestour, wieder ein. Mein Zelt hält! Und zwar die ganze Nacht! *hehe*





Heute verabschieden wir uns von der Pampa und tauchen ein in den Südbuchenwald. Der Pfad steigt entlang des Río de Los Perros bis zum gleichnamigen Campamento auf. In diesen Wäldern stocken nun die Lenga (Nothofagus pumilio). Zwischen den alten, hohen Bäumen, deren Rinde mit langfädrigen Flechten (Barba de Viego) bewachsen ist und wie der Name bereits verrät, Bartwuchs ähnelt, finden sich viele umgestürzte Bäume mit riesigen Wurzeltellern, die der patagonische Windgott auf dem Gewissen hat. Die Vegetation hier kenne ich nach meinen mehrwöchigen Untersuchungen in den Nothofagus-Wäldern in der Nähe von Puerto Natales nur zu gut. Acaena magellanica, Adenocaulon chilensis, Blechnum penna-marina, Berberis buxifolia etc...
Kurz vorm Ende der heutigen Etappe besteigen wir eine grobkiesige und nur spärlich mit Gebüschen und Bäumen besiedelte Endmoräne des Gletschers Los Perros bis wir schließlich über einen Gletschersee die Eismassen zu Gesicht bekommen. Gleichzeitig schießt uns der Gletscher zur Begrüßung seinen eisigen Atem ins Gesicht, so dass wir umgehend die Rucksäcke ablegen, um uns mit Windjacken zu bestücken.

Neben einzelnen, windgepeinigten Bäumen führt uns der Circuito grande über ein großes Kiesfeld in einen nahegelegenen Lengawald, in den wir das Campamento Los Perros auffinden und die obligatorischen 3.500 Peso pro Person vor Aufbau der temporären Unterkünfte beim Guardaparque, dem Ranger und Campingplatz-Aufseher, bezahlen. Als Gegenleistung erwarten uns Gletscherwasser-Duschen mit Original-Temperatur, zwei Toiletten und eine Hütte zum Kochen und Essen zur Verfügung. Diese ist jedoch amateurhaft um einen alten Baum herum gezimmert und erinnert etwas an eine alpine Schirmbar aus dem Winterurlaub in Östereich. Hier finden wir Schutz vor Wind und Kälte und Kochen unser feistes Essen! Reis mit Erbsen&Mais aus der Tüte...
Di, 05.02.08
Die Nacht ist kalt! Die Nähe zu den Gletschern auf dieser Seite der Torres-del-Paine-Kordilliere ist deutlich spürbar. Mit langer Unterhose, einer Pyjamahose, einem langen Thermoshirt und Fleece-Pullover verbringe ich die Nacht im Zelt, in Embryonalstellung in meinem dünnen Schlafsack. Gegen 6 Uhr wache ich das erste Mal auf. Ich friere! Schnell werfe ich noch meinen Windstopper und meine GoreTex-Jacke über meine Schlafsack, um die Körperwärme etwas zu speichern. Irgendwie schlafe ich wieder ein, bevor ich gegen 8.30h mein Zelt verlassen muss und in meinen kalten Wandersachen steige. Brrrrrr...! Beim Zusammenrollen des Schlafsack kontrolliere ich dann den eingenähten Produkthinweis: Komfortbereich ist über 8°C, der Übergangsbereich zwischen 8 und 3°C, alles weitere darunter ist der Risikobereich! Hui! Mein Schlafsack ist dann vielleicht doch etwas dünn für den patagonischen Sommer!






Mi, 06.02.08
Ich wache auf, gegen 5.30h und höre die Regentropfen auf mein Zelt prasseln. Ich strecke meinen Arm aus dem Schlafsack und spüre die Kälte des Greygletschers. Es ist schon wieder arschkalt und ich friere. Meine Fingerspitze an der Zeltwand informiert mich über die Menge des Kondenswassers, das sich während der Nacht in meinem Zelt abgesetzt hat. Leider hat mein super-light-weight-tent nur eine Außenhülle, die mein hab und Gut vor der lebensfeindlichen, nächtlichen Außenwelt trennt. Zumindest scheint das Regenwasser keinen Zugang zum Inneren des Zelts gefunden zu haben...
Wieder wache ich auf. Die Stimmen meiner Zeltnachbarn sind nicht zu überhören, es ist 8 Uhr und Zeit, sich mental auf ein Aufstehen vorzubereiten. Zuerst nehme ich wie jeden Morgen mein Spülschwämmchen und wische das eiskalte Kondenswasser an allen Zeltwänden ab und deponiere es in meinem Trinkbecher. Gute 2 cm lassen sich insgesamt aus dem Schwamm quetschen.
Mein Wanderkollege setzt mich über die Außentemperatur in Kenntnis: 4,5°C!!! Also 1,5°C über dem Risikobereich! Soll man sich darüber freuen?! Ich bin mir nicht sicher. Ich lese nochmal die Produktbeschreibung... "Im Risikobereich ist mit starken Kältempfindungen zu rechnen. Es besteht das Risiko von Gesundheitsschäden durch Hypothermie (Unterkühlung)!"
Ok, ich bin schlecht ausgestattet und das macht mir das Wetter jede Nacht deutlich bewusst! :-(




Diese Nacht war deutlich wärmer als die letzte. Zwar steht mein Zelt nur ca. 20m vom Ostufer des Greysees, dessen Wassertemperatur sicherlich nicht die 3°C-Grenze überschreiten wird, jedoch blieb es die Nacht über trocken und, man staune, windstill. Kein Lüftchen im Nationalpark Torres del Paine! Irgendwie komisch! Ist das die Ruhe vor dem kommenden Sturm?






Planänderung! Der nächtliche Regen will einfach nicht aufhören. Wir entscheiden in den Schlafsäcken zu bleiben - diese Nacht war Gott sei Dank auch nicht so kalt - und auf etwas trockenere Witterungsbedingungen zu warten. Gegen 10h lichtet sich der Himmel etwas, jedoch tröpfelt es weiter. Gut, dass die heutige Etappe nur einen Ausflug in ein Tal darstellt und somit nicht unbedingt für das Weiterkommen im Rundkurs entscheidend ist. Michael und ich beschließen jedoch dem Wetter zu trotzen und das französische Tal zu erkunden.
Der Weg ist vom Regen glitschig und erfordert mehr Konzentration beim Übersteigen von Gesteinen. Die Sicht ist heute ebenfalls wegen des Wetters eher mäßig, aber uns begeistert trotz allem der gewaltige Gletscherbach mit dem schneebedeckten Cerro Paine Grande im Hintergrund.





Wir folgen weiter dem "W". Nach einer ungewöhnlich warmen und trockenen Nacht und dem alltäglichen Porridge-Breakfast starten wir in die heutige 15km-lange Etappe ins Torres-Tal, bzw. ins Valle Ascencio. Die Rücksäcke sind wieder auf den Rücken geschnallt - mal fühlt sich schon fast komisch, wenn man das Gewicht auf dem Rücken mal nicht spürt - und wir traben entlang des Nordenskjold-Sees in Richtung der Hostería Los Torres. Eigentlich trifft man hier kaum Touristen?! Komisch, wo sind die denn alle hier?

Der morgige Wanderplan wird geschmiedet: Wir stehen um 4h (ja, morgens!) auf und bestreiten den Wanderweg zum Mirador (Aussichtspunkt) der berühmten Torres del Paine mit Hilfe unserer Taschen- und Stirnlampen. Wenn das kein Plan ist!

Der Wecker klingelt... wer ist eigentlich auf die schlaue Idee gekommen, wirklich um 4h zu starten? Ahja, Michael aus Freiburg! :-( Dessen Taschenlampe sehe ich auch schon im Nachbarzelt flackern. Mmmh... also dann gehts wohl jetzt los! Schnell die Zähne geputzt, rein in die durch getrockneten Schweiß und Dreck immer härter werdenden Wanderklamotten, Kappe auf und raus aus dem Zelt. Brrr.... ist das kalt. Nun haben wir noch ca. 2 Std. Zeit, um den Aussichtspunkt zu erreichen. Die Wandertafeln geben jedoch 2,5 Std. an. Der rucksacklose Rücken scheint wie eine Schubrakete auf die Gehgeschwindigkeit zu wirken und wir rasen im Dunkeln den Berg hinauf. Nach einer Stunde Orientierungstraining über eiskalte Gletscherbäche und durch finstere Lenga-Wälder erreichen wir das nächstgelegende Campamento Los Torres, von dem aus eine ca. 45min-lange Besteigung eines Geröllfeldes ausgeht. Dies entpuppt sich als wirkliche Herausforderung. Wie kommen denn hier die 0815-Trekker mit Joggingschuhen hoch, wenn ich mit meinen hohen und festen Wanderstiefeln schon zu kämpfen habe, denke ich mir so und steige brav Stein für Stein in die Höhe. Nass geschwitzt und reichlich erleichtert erreichen wir ca. 6min vor Sonnenaufgang den Mirador der Torres del Paine.


Das Wetter verschlechtert sich jedoch aufs Neue und wir entscheiden uns für den sofortigen Abstieg nach einer Tasse heißen Tee. Die Zelte werden gepackt und wir verabschieden uns vom Valle Ascencio und steigen ins Tal zur Hostería Los Torres hinab, um nach 9 Tagen Wanderung den liebgewonnenen Nationalpark zu verlassen.

Vielen Dank auch nochmal an meiner Begleiter aus Nürnberg und Freiburg! Die Zeit mit euch war wahnsinnig schön und sicherlich unvergesslich!
4 Kommentare:
BOOOOAAAAAAAARRRRRRRR, ist das schön da. Mehr vermag ich angesichts dieses Reiseberichts nicht zu sagen. Echte Leistung kleiner, GROßER Bruder!!!!
Hallo Raimundo,
bei so viel schöner unberührter, unbebauter und gewaltiger Natur, bleibt einem beim Sehen und Lesen die Sprache weg, überzieht sich der Körper mit Gänsehaut (Auf Schalke heißt das Hühnerfell), prickelt das Blut wie Sekt in den Adern und es ist wahrscheinlich nicht zu unterscheiden, ob es Schweißperlen oder eine Träne der Rührung im Gesicht war. Deine Bilder (Sonnenaufgang) und Berichte kommen hautnah rüber und erinnern ein wenig an Südtirol hier um die Ecke. Danke fürs Miterleben lassen.
Die Hinbringer
Ganz grosses Kino, du Wandervogel! Das gibt ein HOCH auf die Poeten unter uns, haste gut geschrieben. Auch wenn wir ein bissl neidisch auf die Sonnenaufgangs-pictures sind, war es ne tolle Zeit zusammen am Circuito Grande!
Lass es Dir gut gehen und hau fleissig in die Tasten fuer die DA,
Gruesse aus Valparaiso, Katrin und Soeren
Hola Raimundo,
einige Details waren uns ja neu (uns war nicht bewusst, dass du die ganze Zeit so gefroren hast, waehrend wir in unserem Zelt die T-Shirts ausziehen mussten, weil es zu warm war in unseren schicken Schlafsaecken - haettest du was gesagt, haetten wir dir unsere T-Shirts gerne geliehen :) )
Andere Details haben wir vermisst, unter anderem eines, was wir von Dir gelernt haben: Wenn man den Reis essen will, sollte man ihn nicht vorher in den Dreck werfen :)
Wir haben gemeinsam deinen Bericht gelesen - haben uns koeniglich amuesiert und nochmal den Circuito Grande mit Dir durchlebt! Danke!
War eine superschoene Zeit mit Dir, an die wir gerne zurueckdenken.
Liebe Gruesse von den Freiburger Soldaten, die gemeinsam in die Schlacht zogen und sie gewonnen haben ;)
Freuen uns auf die Siegesfeier in Freiburg.
PS: Quarz, Feldspat und Glimmer, diese drei vergess ich nimmer!
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